Saturday, September 27, 2008

Politik: Antragsbuch zum Landeskongress der Julis NRW

Ich habe gerade das Antragsbuch zum 68. Landeskongress der Julis NRW im Briefkasten gefunden und ehrlich: Es zeigt mal wieder warum es gut ist, dass ich nicht mehr aktiv dabei bin. Warum kriege ich eigentlich von das Antragsbuch?

Warnung: Der folgende Text könnte für Nicht-Junge-Liberale etwas kryptisch und unverständlich sein? Was ein KV? Was ein LAK? Was ein Landeskongress? Was ist ein Antrag? Sorry, ich will in den Artikel nicht noch mehr Zeit stecken um in allgemein verständlich zu machen. An vielen Stellen fehlt aus dem gleichen Grund einer detaillierte Begründung für meine Meinung. Kann ich bei Bedarf nachliefern.

Der Leitantrag ist eindeutig eine Arbeit von Plahr und gewohnt gut. Dass sich viele Delegierte unter "unveräußerlichen Rechten" und "offener Gesellschaft" nichts vorstellen können, ist ein bekanntes Problem. Zustimmung wird dieser Antrag natürlich trotzdem finden.

Der Antrag zur Gleichstellung von Religionslehrern, d.h. das Religionslehrer ihr Fach auch ohne Zustimmung der Kirche ausüben dürfen müssen, ist erfreulich (Trennung von Kirche und Staat). Das Autonomie der Schulen als Begründung angeführt wird (steht im Antragstext ist aber eine Begründung, egal) finde ich gut. In der letzten Zeit hat sich LAK Bildung angestrengt hat, die Schulautonomie mit Füßen zu treten u. A. mit der Begründung so etwas gäbe Probleme beim Zentralabitur (siehe Antrag: Abschaffung des Abiturs an Berufskollegs - Der Antrag ist der Grund für meiner Rücktritt vom stellv. Leiteramt und Austritt beim LAK Bildung). Da finde ich es schön, wenn einige die Schulautonomie nicht vergessen haben.

Ein Beispiel für die gewöhnte Richtung des LAK Bildung - der Staat als Gesellschaftskonstrukteur und Erzieher zum richtigen, zum gewünschten Menschen - ist der Antrag "Kulturpass für Kinder und Jugendliche in NRW" - Juhu, noch eine weitere Pauschalsubvention für den Kulturbetrieb - Noch mehr Umverteilung von unten nach oben. Es gibt wirklich andere Möglichkeiten für Kultur für Kinder,Jugendliche und Menschen mit klammen Geldbeutel bezahlbar zu machen, ohne diese Umverteilungskomponente. Darüber hab ich mal eine Diskussionsrunde in Köln mit dem Titel "Kultur ins Grundgesetz - Wichtig für das Land der Dichter und Denker oder staatliche Umverteilung von unten nach oben" geleitet.

Auch die Einführung eines Kindergartenpflichtjahres ist typisch für dieses Antragsbuch. Hat mal irgendwer von denen ins Grundgesetz geschaut? Da steht etwas von 6 Jahren und Schulpflicht und nicht von 5 Jahren und Kindergartenpflicht.

Aber nicht nur der LAK Bildung kann die Vision "Schulautonomie" ablehnen. Der Kreisverband Köln kann es auch. So gut sich der Antrag "Lehrpläne müsen die Verbrechen der DDR umfassend thematisieren" anhört, ja, in der derzeitigen System der Bildungs-Mikrokontrolle durch das Land sogar sinnvoll ist: Die Ziele in der Bildungspolitik sollten für Liberale sein die Mikrosteuerung den Schulen zu überlassen. Jeder Antrag der die Einführung von neuen Lehrinhalten, neuen Fächern sind ein Schritt in die falsche Richtung. Vielfach sind die Lehrpläne auch schon weiter als es in den Antragen dargestellt wird. Ich würde unter keinen Umständen jemals derartige Anträge unterstützen, wenn sie nicht klipp und klar angeben, warum die aktuellen Lehrpläne nicht ausreichend sind. Das fehlt in der Begründung allerdings völlig.

Während eine weitgehende Schulautonomie noch ein Vision ist (zumindest in Deutschland, andere Länder sind dort wesentlich weiter), ist Hochschulautonomie Realität. Das hält den Bezirksverband OWL nicht davon ab, die landesweite Einführung von Lehrevaluationen zu fordern. Die sollen dann durch die Fachschaften u.a. in Zusammenarbeit mit qualitativen Sozialforschern erfolgen. Ja, wie lange soll das den dauern? Wie viel soll es kosten? Wo ist der Mehrwert durch die Beteiligung der Sozialforscher? Also ich vertraue meiner Fachschaft, dass sie grundlegende Statistik können.
Wo ist allgemein der Mehrwert gegenüber einer freiwilligen Evaluation durch die Fachschaften? Seit wann ist das Land in irgendeiner Form den Fachschaften gegenüber weisungsberechtigt? Gibt es dann Strafgelder für Fachschaften, wenn diese keine Evaluation durchführen?

Und ehrlich: Gibt es tatsächlich Fachschaften, die nicht schon selbstständig Evaluationen durchführen? Wenn ja (ich hoffe es nicht), dann ist es deren Versäumnis und Problem. Landesgesetze helfen nicht, um lokale Probleme wie untätige oder unfähige Fachschaften zu lösen.
Glaubt den irgendwer dass ein Professur in NRW berufen wird ohne, dass sich die Studentenvertreter im Berufungsausschuß nach der Lehrevaluationen des Bewerber umhören? Ich kann mir es nicht vorstellen.

Ja, Lehre muss größer geschrieben werden, aber ein Gesetz zur Lehrevaluation ist IMHO nicht der richtige Weg.

Gerade zu skandalös finde ich den Antrag "Diagnose: Verdacht auf Störung der Sexualpräferez? - Nein Danke!". Aus Diskriminierung und aus Datenschutzgründen soll unter anderem die Diagnose "Pädophilie" verboten werden. Ja, geht es denn noch? Die Diagnose als Krankheit ist die einzige Chance für die Patienten auf Hilfe.

Der KV Köln reitet - IMHO ohne Sachkenntnis - auf der aktuellen Datenschutzwelle bezüglich Internetdiensten mit. Dabei erfinden sie eigentlich nur schon bestehendes Recht neu. Die einzige wirkliche Neuerung ist die Verpflichtung "personenbezogene Daten maximal 6 Monate zu speichern". Wo kommt diese willkürliche Grenze her?
Soll das ein neuer Grundsatz mit BDSG werden oder nur für Internetanbieter? Nur für Google? Ich fände es blöd, wenn nach 6 Monaten mein StudiVZ-Profil und meine GMail-Mails gelöscht werden.
Lasst doch bitte die Benutzer entscheiden, ob sie einem Anbieter vertrauen oder nicht. Keine willkürlichen Grenzen in irgendwelche Gesetze schreiben nur weil ihr - KV Köln - natürlich viel besser wisst, was richtig für alle ist.
Mein Standpunkt zum Datenschutz ist, dass Information was mit Daten passiert, welche Daten gespeichert werden, extrem wichtig ist. Wenn diese Informationen vorliegen oder weitgehend vorliegen, dann ist es die freie Entscheidung als mündiger Bürger sich für Dienst A, Dienst B oder keinen Dienst zu entscheiden.

Das einzige Highlight - auch vom KV Köln - ist der Antrag "Nein zum "Nanny State" - Suchtprävention durch Aufklärung und Beratung statt Volkspädagogik". Inhaltlich fordern sie, die Ablehnung von:
- Tageszeitabhängige Verbote des Verkaufs alkoholischer Getränke
- Ortsabhängige Verbote von Alkoholverbote, ausgenommen: Öffentliche Plätze, sowie Spiel- und Bolzplätze.
- Verbote von "Flatrate-Partys"
- Heraufsetzung des Mindestalters für den Erwerb und Konsum nicht branntweinhaltiger alkoholischer Getränke auf 18 Jahre
- Werbeverbote für Alkohol
- Steuererhöhungen auf alkohlische Getränke
stattdessen fordern sie auf Beratung und Aufklärung.

Einen kleinen Kritikpunkt habe ich schon:
- Warum die Ausnahme von öffentlichen Plätzen? Ich lehne diese Maßnahme - die eigentlich nur den örtlichen Wirten helfen soll - ab.
Ansonsten kann ich dem Antrag zustimmen.

Formal ist schön, dass Antrag und Begründung ordentlich getrennt ist. Die Begründung ist ausführlich und gut. So sollen Anträge aussehen.

Von der sehr guten formalen Arbeit des KV Köln beim "Nanny-State"-Antrag kann der KV Hagen nur lernen. Ich möchte keine rhetorischen Fragen in einem Antrag - wenn dann gehört so etwas in die Begründung. Ich möchte keinen Antrag der zu 2/3 aus reiner Begründung besteht.

Der Antrag "Reform des öffentlich-rechtlichen Bankensektors" durch den LAK Wirtschaft ist im Grunde sehr gut, ist aber durch die Realität überholt worden. Heute würde niemand mehr Sätze schreiben wie "Die öffentlich-rechtlichen Banken sollen in erster Linie Förderbanken sein, wie es praktisch schon erfolgreich mit der KfW (Kreditanstalt für Wiederaufbau) gelebt wird".

Der Rhein-Kreis-Sieg will eine Klärung, ob die Julis für die Abschaffung oder die Aussetzung der Wehrpflicht sind. Dies sei angeblich nicht klar. Ein Blick in die Beschlusslage und auf die Homepage hilft: Dort steht die Forderung "Wehrpflicht abschaffen". Ehrlich Leute. Ein Anruf beim Landesprogrammatiker hätte da bestimmt schnell weitergeholfen.

All den Julis, die stets meinem mit mehr Gesetzen und Verordnungen, empfehle ich u.a. die tägliche Lektüre der "Bissigen Liberalen."

1 comment:

  1. Automatically imported comment
    Author: Matthias Lehming
    Date: Tuesday 11. November 2008


    Zum Glück gibt es ja das Alex-Müller-Verfahren, um die wichtigen (und guten) Anträge in der Antragsberatung nach vorne zu ziehen... ;-)

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